Wie du Schoko-Adventskalender NICHT öffnen solltest
Es mag sich merkwürdig anhören, aber seit ein paar Jahren sind mir Adventskalender irgendwie egal geworden.
Ich meine jetzt die fertigen Adventskalender, die man im Einzelhandel kaufen kann. Wenn mir jemensch einen selbstgebastelten Adventskalender schenkt, dann ist das natürlich eine andere Sache 😉
Hier geht es jetzt um die fertig gekauften. Genauer gesagt um die ganz billigen mit kleinen Schokoladenstückchen in verschiedenen Formen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass als Kind für mich Schoko Adventskalender das Größte waren. Ich konnte es kaum erwarten, dass endlich Dezember war und ich Schokolade essen durfte. Nicht nur wenn ich “brav” war, sondern jeden Morgen ein Türchen.
[Wenn du wenig Zeit hast, dann lies bei “Was haben Adventskalender mit Intuitivem Essen zu tun?” weiter]
Jetzt frage ich dich: Eine kleine Dorothée von vielleicht 6 Jahren + ein Schoki Adventskalender. Was ist wohl passiert?
Du musst kein*e Detektiv*in sein um dir denken zu können, dass ich heimlich alle Türchen geöffnet und die Schokolade nicht nur gegessen, sondern regelrecht verschlungen habe. Am nächsten Tag war ich dann natürlich traurig, dass ich nichts mehr im Kalender hatte. Was aber viel tiefer ging, war meine Scham. Ich habe mich geschämt, dass meine Schoko-Eskapade bemerkt wurde. Also habe ich auch wieder heimlich von meinem Taschengeld einen neuen Kalender gekauft und mir selbst geschworen ihn nicht noch ein Mal zu plündern.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich meiner Mutter dankbar bin, dass sie mich deswegen nicht ausgeschimpft hat. Sie war eher amüsiert und meinte nur. “Tja, jetzt ist dein Kalender leer”. Mein kindliches Gehirn hat daraus dann ein “Da siehst du, was du davon hast” gemacht und ich hab angefangen mich zu schämen und schuldig zu fühlen. Das war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass Schokolade eine magische Anziehungskraft auf mich Noch einige Jahre danach waren Schoki-Adventskalender das Größte für mich. Aber warum eigentlich?
Was brachte mich dazu, meinen Kalender zu plündern und mich schon im November auf den Dezember zu freuen?
Die Idee solcher Kalender ist es, jeden Tag ein kleines Stück Schokolade zu essen. Eher essen zu dürfen. Und DAS ist genau der Punkt. Solche Kalender funktionieren NUR in einem Umfeld, in dem Süßigkeiten verboten oder zumindest rationiert werden. Und letzteres wurde bei mir definitiv gemacht. Die Schokolade gab es für mich nur zu bestimmten Zeiten oder sie war an bestimmte Bedingungen geknüpft (z.B. Schulnoten). Ansonsten war sie hoch oben im Schrank weggepackt, damit ich nicht dran kam (hierzu später mehr). ein klassisches Beispiel für eine “verbotene Frucht”.
Dadurch dass mein kindliches Gehirn Schokolade als ein “seltenes Gut” abgespeichert hatte, konnte ich mich beim Anblick von 24 Türchen und der Aussicht, diese essen zu dürfen, nicht mehr zusammenreißen. Ein kleines Stückchen war definitiv nicht genug, um das Verlangen nach Schoki, was mir sonst abgesprochen wurde, zu stillen.
Wahrscheinlich kannst du dir denken, worauf ich hinaus will? Aber lass mir dir vorher noch von meiner Freundin Cynthia erzählen.
Meine Freundin Cynthia und die Schälchen
Bis ich Cynthia und ihre Mutter kennenlernte, wurde mir Schokolade noch eingeteilt. Ich habe zwar seit meiner Adventskalender Eskalation keinen Kalender mehr geplündert, aber immer als ich bei Cynthia zum Spielen war, fiel ihrer Mutter etwas auf: Bei Cynthia lagen nämlich in jedem Raum kleine Schälchen mit Süßigkeiten rum. Nach jedem meiner Besuche waren alle Schüsseln leer! Irgendwann fiel das auf und Cynthias Mutter hatte ein ernstes Gespräch mit meiner Mutter. Dieses Gespräch änderte alles! Ab jetzt durfte ich Schokolade essen. Es lagen zwar keine Schüsseln offen rum, aber wenn ich nach Schokolade fragte, wurde sie mir gegeben. Wenn auch mit Nachfrage meiner Mutter “willst du das wirklich?”, “Du weißt, wir essen in XYZ Zeit” usw., aber ich bekam meine Schoki.
Allerdings war ich da bereits 10. Die frühkindliche Prägungsphase war bereits abgeschlossen und die Einteilung in “gute” und “schlechte” Nahrungsmittel bestand ja immer noch, denn Schoki war noch immer nicht frei verfügbar.
Was haben Adventskalender mit Intuitivem Essen zu tun?
Der Hauptgrundsatz vom Original Intuitiven Essen, der für die meisten Menschen am schwersten zu begreifen ist, ist es keine Unterteilung mehr in “gesundes” und “ungesundes” Essen bzw. “gute” und “schlechte” Lebensmittelvorzunehmen. Das bedeutet nicht, dass Intuitives Essen Nährwerte komplett ignorieren würde. Schließlich wurde die Methode von zwei Ernährungswissenschaftlerinnen entwickelt; Elyse Resch und Evelyn Tribole. Was damit vielmehr gemeint ist:
Alle Lebensmittel sind moralisch gleichWERTIG!
Außerdem ist es überraschend schwer ein Lebensmittel als “immer gesund” bzw. “immer ungesund” zu definieren, da der Kontext der Ernährungs-Umstände dabei eine große Rolle spielt. Wenn sich das als “ungesund” empfundene Lebensmittel ständig verkniffen, und stattdessen die “gesündere Alternative” gegessen wird, ist diese am Ende nicht wirklich gesünder, da sie im besten Falle zu einem gestörten Essverhalten und im schlimmsten Falle zu einer ausgewachsenen Essstörung führt, wie diese Studie von 2017 zeigt.
Heute bin ich mir sicher: Hätte meine Mutter mir erlaubt, immer dann Süßigkeiten zu essen, wenn mir danach war, wäre der Schokoladen-Kalender nichts Besonderes mehr für mich gewesen und ich hätte vermutlich gar nicht jeden Tag Schokolade essen wollen, weil es mir irgendwann langweilig geworden wäre. Der Reiz besteht im Verbotenen bzw. in der “Ausnahmesituation”.
Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem sie uneingeschränkten Zugang zu Süßigkeiten haben, deutlich weniger häufig Essstörungen entwickeln und weniger wiegen als ihre peers, bei denen Süßigkeiten rationiert werden (Quelle HIER).
Um es mal in Zahlen auszudrücken: Es ist 242 Mal wahrscheinlicher, dass Kinder an einer Essstörung erkranken, als an Diabetes (Quelle HIER).
Hilfe für kleine (und große) Schokodieb*innen
Was hilft denn jetzt wirklich gegen das Adventskalender Plündern? Wenn Restriktion also Verbote, Verkneifen und Einteilen nicht wirklich weiterhelfen, was dann?
Unser Gehirn kriegt quasi Torschlusspanik
Je verbotener die Früchte sind, desto verführerischer sind sie auch. Es geht also darum, die Ausnahme zumindest etwas näher an den Alltag zu holen. Du musst nicht sofort mit kleinen Schnucker-Schüsseln in jedem Raum anfangen, wie Cynthias Mutter. Darum sind hier ein paar Tipps, um Schritt für Schritt den Reiz des Verbotenen etwas abzumildern.
- Süßigkeiten überhaupt erstmal im Haus zu haben. Am besten immer. Dann passieren auch keine Eskalationen außerhalb
- Süßigkeiten nicht oder zumindest weniger an Bedingungen zu knüpfen und stattdessen andere Anreize zu schaffen (Inspiration HIER)
- Einen festen, sicheren Ort für Süßigkeiten zu haben, der möglichst frei zugänglich ist. Dadurch teilst du deinem zentralen Nervensystem mit, dass auch morgen noch Süßes da sein wird. Das schafft Sicherheit und Vertrauen.
- Süßigkeiten mit anderen Snacks zu mischen und gleichwertig auf einem “bunten Teller” anzurichten (Hier bitte nicht schummeln und für ein ausgewogenes Verhältnis sorgen)
In der ersten Zeit kann es durchaus sein, dass Süßigkeiten vermehrt gegessen werden. Das nennt man in der Psychologie die Honeymoon Phase (Flitterwochen Phase). Vergleichbar mit der ersten Aufregung einer neuen Beziehung. Das ehemalige Verbot ist plötzlich aufgehoben und unser Gehirn kriegt quasi Torschlusspanik und denkt sich automatisch “jetzt oder nie”. Das kann durchaus beängstigend sein, legt sich aber in der Regel wieder.
Auf ein Gefühl von Kontrollverlust sollte keine striktere Kontrolle folgen. Vor Allem dann nicht, wenn Gelassenheit das Ziel ist
Solltest du dabei Angst bekommen oder verleitet sein, noch mehr Kontrolle über dein Essverhalten auszuüben, ist es vielleicht an der Zeit Intuitiv Essen zu lernen oder dir Hilfe zu holen.
Genau hier liegt das Paradox: Je mehr du dir erlaubst Süßigkeiten zu essen, desto weniger hast du einen Jieper darauf.
VORSICHT Falle: “gezieltes Überessen”
Bei der ganzen Sache wird häufig ein Fehler gemacht und zwar der Irrglaube “Ich kaufe jetzt so viel Lebensmittel XYZ, dass ich mich bewusst daran überesse und so hoffentlich nie wieder Lust darauf bekomme”. I hate to break it to you, aber das wird nicht funktionieren.
Wenn du dir nämlich gefühlte Unmengen an X reinziehst, erlaubst du dir nämlich nicht wirklich X zu essen. Du gibst dir keine bedingungslose Erlaubnis, weil im Hinterkopf immer noch mitschwingt, dass X eigentlich nicht in dem Maße gegessen werden sollte. Außerdem bewirkt die Hoffnung auf weniger Lust auf X paradoxerweise das Gegenteil. Du gehst immer noh von einem Mangel an X aus und das merkt auch deine Psyche. Ich nenne dies das Mangel-Mindset (Blogartikel “Lebst du im Mangel-Mindset?”)
Denn unser Unterbewusstsein versteht keine Verneinung (Mehr dazu HIER). Wenn wir sagen “iss das nicht” ist alles was unser unser Unterbewusstsein hört “iss das” und wir denken nur noch mehr an diesen Lebensmittel. Es ist ein bisschen wie das berühmte Gedankenexperiment “Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten” (Original Studie von 1987 HIER). Was aber selten bei dem Experiment erwähnt wird, ist, dass die Forscher eine Kontrollgruppe hatten, der sie als Anweisung “ich lade Sie ein, sich einen rosa Elefanten vorzustellen” gegeben hatten. Diese Gruppe dachte am Anfang zwar genauso häufig an einen rosa Elefanten, doch das Interesse an dem rosa Rüsseltier nahm deutlich schneller ab. Ungefähr genauso verhält es sich mit Süßigkeiten Ende des Jahres.
Eine unverbindliche Einladung
Die Schalen bei Cynthia waren eine unverbindliche Einladung. Da ich es nicht gewohnt war, überhaupt eingeladen zu werden, außer zu besonderen Ereignissen, nahm ich sie auch jedes Mal an.
Heute, nach 10 Jahren Intuitivem Essen, finde ich einen bekannten Joghurt Snack in der Sommer Zitronen Sorte in meinem Kühlschrank, die seit 2 Monaten abgelaufen ist, und muss herzlich darüber lachen. Das wäre damals nicht möglich gewesen.
Nur weil ich mir Schritt für Schritt erlaubt habe, wirklich alles zu essen, was ich essen möchte, hat Essen nicht mehr diesen angsteinflößenden Sog auf mich.
Das ist auch die Motivation hinter meiner Arbeit. Ich möchte die Person sein, die mein 6 jähriges Ich damals gebraucht hätte. Mein Wissen und meine Erfahrung gebe ich heute in zertifizierter Fachberatung weiter.
Fette Grüße,
Dot